Manchmal lese ich den Nachruf auf einen Musiker und denke: Höre doch einfach einmal, was der so gemacht hat. Und dann entdecke ich etwas, was mir gut gefällt. Und ich entdecke jemanden, von dem ich mir wünschen würde, dass er noch eine Weile lang hätte Musik machen können. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert. Platt. Aber wahr. Das Ganze ist mir jüngst wieder einmal passiert: mit Kristof Schreuf und seiner Interpretation von „Search & Destroy“.
Link „Search & Destroy“ von Kristof Schreuf
Das Erbe toter Musiker
Vor einigen Jahren ging es mir beim Tod von Leonard Cohen ähnlich, den ich zwar kannte, dessen Songs ich aber kaum hörte. Als er starb, fand ich mit „You want it darker“ einen Song, den ich bis heute mag. Es ist kein fröhlicher Song, beileibe nicht, aber wer erwartet das schon bei Leonard Cohen? Ich, der ihn kaum kannte, erwartete so etwas nicht. Es ist ein guter Song für Momente, in denen ich keine fröhlichen Songs mag. Es gibt solche Momente.
Link: You want it darker von Leonard Cohen
Kristof Schreuf ist nicht einmal annähernd so bekannt gewesen wie Cohen. Mögen andere entscheiden, ob er mehr Bekanntheit verdient hätte und wie groß der Unterschied zwischen beiden Musikern ist. Das gehört nicht zu den Fragen, die mich interessieren. Wirklich nicht. Ich unterscheide meistens nur zwischen: mag der Sadeghi und mag der Sadeghi nicht so. Sadeghi mag Cohen (was er von ihm kennt). Sadeghi mag auch Schreuf (was er von ihm kennt).
Kristof Schreuf und die Hamburger Schule
Ich begann einiges über Schreuf zu lesen: Musiker und Journalist sei er gewesen, ein Vordenker der Hamburger Schule. Die Hamburger Schule war Gesellschaftskritik, verbunden mit Musik, war Bands mit deutschen Titeln, zu denen „Kolossale Jugend“ ebenso gehörte wie die bekannteren Vertreter Tocotronic und Blumfeld. Kristof Schreuf sang in der Kolossalen Jugend, später dann in weiteren Bands wie Brüllen. Und er interpretierte Klassiker der Rock- und Popmusik völlig neu, veröffentlichte diese Songs 2010 im Album „Bourgeois with Guitar“.
Ein anderer Highway to Hell
Auf „Bourgeois with Guitar“ gibt es unter anderem eine Neuinterpretation von „Highway to Hell“, die aus der kraftvollen Rocknummer von AC/DC einen eher melancholischen Song gemacht hat.,Beim ersten Hören dachte ich: Och nö. Muss ja nicht. Mittlerweile denke ich: Vielleicht doch! Ja. Vielleicht ja doch. Es ist einfach ein anderer Highway, einer auf dem man gemächlicher fährt und die sanfte und doch leicht schmerzende Melancholie genießt.
Link: Highway to Hell (von AC/DC)
Link: Highway to Hell (von Kristof Schreuf)
Vielleicht trauert man ja wegen des Todes der eigenen Rebellion, die dem abgeklärten Denken eines Älteren weichen musste, ebenso der Gewissheit, dass man viel getan und eventuell am Ende doch nicht viel erreicht hat (im Vergleich zu dem, was man als Jugendlicher wollte). Man ist ernüchtert, im besten Fall aber nicht verbittert.
In der Jugend möchte man die Welt mit einem Aufschrei und einem Ruck verändern, möchte sie besser und gerechter machen, was immer das heißt. Und man merkt irgendwann, dass das doch viel mehr Zeit braucht, dass ein Menschenleben dafür nicht ausreicht, dass vielleicht erst die nächste Generation es schafft… oder die übernächste?
Vielleicht ist es so. Vielleicht hat Schreuf ein bisschen so gedacht. Vielleicht ist sein Highway to Hell deshalb so geworden, wie er geworden ist? Ich weiß es nicht. Ich maße mir nicht an, die Gedanken eines Menschen zu erraten, den ich vor seinem Tod nicht einmal aus den Medien gekannt habe. Es ist meine Interpretation. Mehr nicht.
Search & Destroy
Schreufs Cover-Version von „Search & Destroy“ war das erste Lied, das ich nach seinem Tod gehört habe. Im Gegensatz zu seiner Highway to Hell Interpretation hat es mir von Anfang an gut gefallen. Vielleicht lag das daran, dass ich das Original nicht kannte (Ich bekenne mich schuldig)? ICH KANNTE DAS ORIGINAL NICHT.
Link: Search & Destroy von The Stooges
Link: Search & Destroy von Kristof Schreuf
Das Original: hart, brutal und gut. Ein Song von den Stooges mit Iggy Pop. Was Schreuf daraus gemacht hat: ist wiederum etwas völlig Anders, etwas, was (wohl nicht nur) für mich (mehr als nur) ein wenig wie „The End“ von „The Doors“ klingt. OK. Ich habe keine Ahnung. Es klingt nicht nach den Doors. Aber dennoch. Ein bisschen. OK., ich habe wirklich keine Ahnung. Aber ein bisschen … Man höre einfach selbst. Und entscheide. Es klingt wie … nein, doch nicht. DOCH. Und es klingt gut.
Kristof Schreuf ist am neunten November 2022 in Berlin gestorben. Er war 59 Jahre alt. Was von ihm bleibt? Wahrscheinlich viele Erinnerungen bei denen, die ihn gut kannten. Einige Erinnerungen bei denen, die ihn kannten. Dazu einige Texte. Ein paar Lieder. Eine gute Interpretation von „Search & Destroy“, die (nicht) wie „The End „ klingt.
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